Ungewöhnliche Familiensituation
Karl Simon Mattmüller muss ein abwechslungsreiches Leben gehabt haben: Er wurde in Broggingen, Deutschland geboren, wuchs mit 14 Geschwistern auf, von denen 8 innerhalb der ersten zwei Lebensjahre starben, betrieb in Wohlen AG ein Coiffeurgeschäft, ein Bruder lebte in Appenzell, ein Sohn (grün) leistete Kriegsdienst im 1. Weltkrieg, zwei Söhne wurden Schweizer Bürger und er kam zu einem Stiefsohn (pink). Er selbst blieb zeitlebens deutscher Staatsangehöriger. Ob Tochter Emma Schweizerin wurde, ist nicht erforscht. 1932, bei der Einbürgerung ihres Bruders Walter, war sie jedenfalls noch Deutsche. Sie blieb ledig und wurde in der Familie „Jungfer Emma“ genannt. Sie verstarb vermutlich im Pflegeheim „Gnadenthal“ in Niederwil AG.
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Patchworkfamilie
Karl Simon Mattmüller, geb. 1859 in D-Broggingen zog in die Schweiz, heiratete dort die Schweizerin Maria Emma Kuhn. Das Paar hatte drei Söhne, Karl Meinrad, Emil Adolf und Walter Ernst sowie die Tochter Emma Bertha. Nach dem Tod der Ehefrau 1909 heiratete Karl Simon Mattmüller zwei Jahre später die Witwe Maria Aloisia Furter, geb. Hüsser. Sie brachte ihren Sohn Gustav Furter (pink) in die Familie mit, der damit zum Stiefbruder (kein gemeinsames Elternteil) von Karl, Emil, Emma und Walter wurde.
Die Patchwork-Familie Mattmüller, ca. 1911: Emma, Karl Simon, Walter, Emil und Karl Meinrad Mattmüller, Aloisia, geb. Hüsser, Gustav Furter (v.l.)
Karl Simon, der sich wohl meist nur Karl nannte, suchte Ende 1907, in der Rubrik „Emplois divers“ eine Stelle für einen 16-jährigen Jeune Homme.[1] Galt die Suche wohl seinem leiblichen oder seinem Stiefsohn? Gustav Furter war zwar zu diesem Zeitpunkt erst 15-jährig, aber im 16. Altersjahr. Später war er im Hotelgewerbe tätig, da hätte ein Aufenthalt in der französischsprachigen Schweiz den Einstieg ins Berufsleben sicher erleichtert. Aber vielleicht sollte Karl Meinrad einfach Französisch lernen.
Sohn Karl Meinrad im 1. Weltkrieg
Die beiden jüngeren Söhne von Karl Simon, Emil und Walter erhielten 1922, resp. 1932 das Schweizer Bürgerrecht. Was war mit dem Ältesten, Karl Meinrad (grün)?
Er leistete im 1. Weltkrieg Wehrdienst im Deutschen Kaiserreich. Sympathisierte er mit Deutschland – wie andere Deutschschweizer auch – oder befürchtete er einen Einsatz gegen sein Geburtsland? Wir wissen es nicht. Zu finden sind hingegen vier Einträge in den Deutschen Verlustlisten des 1. Weltkriegs. Das angegebene Datum ist immer das Veröffentlichungs-Datum der jeweiligen Verlustliste. Es liegt meist mehrere Wochen bis einige Monate nach dem tatsächlichen Ereignis:
04.07.1917: Mattmüller, Karl – 24.11.91 Wohlen, Schweiz – Leicht verwundet.[2]
28.08.1917: […] vermisst.[3]
25.09.2017: .[4]
27.01.1919: […] war in Gefangenschaft Rouen, jetzt Weggis, Bühlegg.[5]
Weitere Einträge findet man auch im Online-Archiv des Roten Kreuzes[6], so z.B. die Verlegung am 1.4.1918 aus dem Gefängnis Dieppe nach Rouen, Quai de France. Er war Soldat im 142. Infanterie-Regiment, 10. Kompagnie:
Nach dem Krieg heiratete Karl Meinrad 1922 in D-Broggingen zuerst seine Tante Anna Maria, geb. Holzwarth und 1938 seine Cousine Frieda, geb. Mattmüller, die Tochter seiner Tante, resp. seiner 1. Ehefrau. Insgesamt hatte er 6 Kinder.
Findelkind Aloisia „Morgen“
Der ungewöhnliche Eintrag im Geburtsregister von Berikon AG der 2. Ehefrau von Karl Simon Mattmüller:
Transkription
Aloisia Hüsser, uneheliches Kind der Anna Maria Hüsser, Tochter des Michael Hüsser, Jägers von Oberberikon (Seite 142), geb. den 25. Juni 1865, im Postwagen in Bremgarten aufgefunden, dort auf den Namen Aloisia „Morgen“ getauft, unterm 28. Oktober 1865, nach gepflogener [durchgeführter] Untersuchung und Bekenntnis der Mutter, als Gemeindebürgerin von Berikon erklärt. Verehelicht den 7. Oct. 1892 mit Furter Jak. Gustav von Dottikon.
Als Findelkind wurde Aloisia somit zuerst auf den Familiennamen MORGEN getauft, vermutlich weil sie am Morgen aufgefunden wurde. Wie kam sie wohl zum Vornamen Aloisia? Wurde dem Säugling ein Namensschild mitgegeben? Vielleicht sogar als Hinweis, dass der Vater Alois hiess? Oder durfte die Finderin/der Finder einen Vornamen auswählen? Spätere Dokumente lauten immer auf die Vornamen Maria Aloisia.
Quellen
[1] Feuille d’Avis de Neuchâtel. 13.12.1907.
[2] http://des.genealogy.net/eingabe-verlustlisten/search. Liste: Preussen 849, Seite 18845.
[3] Liste: Preussen 922, Seite 20285.
[4] Liste: Preussen 946, Seite 20834.
[5] Liste: In der Schweiz internierte preussische Heeresangehörige 31, Seite 28894.
[6] https://grandeguerre.icrc.org/en/File/Search. Stand 24.04.2017.